Peru - Die Magie am Titicacasee

Von Hannah Hülsmann

Ich bin alleine nach Peru gereist und doch fühle ich mich, seit ich nun hier bin, alles andere als einsam. In nur wenigen Tagen habe ich gelernt, offen zu sein. Gegenüber fremden Menschen, unbekannten Kulturen und neuen Situationen. Andere Reisende in Cusco haben mir von ihrem Ausflug zum Titicacasee berichtet und nun sitze ich selbst im Bus, welcher stets weiter gen Süden in Richtung bolivianischer Grenze tuckert, obwohl ich dieses Ziel zuvor überhaupt nicht auf meinem Plan oder in Erwägung gezogen hatte. So bin ich gänzlich unvorbereitet. Ohne blassen Schimmer, was in den kommenden Tagen auf mich zukommen wird. Untypisch für mich. 

Meine Augen sind verklebt, mein Atem schmerzt, ich kann meinen verkrampften Körper kaum bewegen. Draußen herrscht scheinbar eisige Kälte. Ich merke, dass mein Nackenkissen an der Fensterscheibe des Nachtbusses festklebt. Vom Frost. Es muss 2 oder 3 Uhr nachts irgendwo mitten im Nirgendwo sein. Mitten in Peru. Mitten in den gewaltigen Anden. Auch wenn ich die Fahrbahn in der Dunkelheit nicht annähernd erkennen kann, ich spüre am heftigen Ruckeln, dass der Untergrund kein Asphalt sein kann. Mein Kopf taumelt kraftlos von rechts nach links, von hinten nach vorne. 

Im Halbschlaf realisiere ich allmählich, was ich hier überhaupt mache. Ich bin auf dem Weg ins größte Reiseabenteuer meines bisherigen noch sehr jungen Lebens. Ich bin auf dem Weg zum Titicacasee – dem höchstgelegenen schiffbaren Gewässer der Welt. Ein Ort, von dem ich zuvor zwar schon gehört habe, doch mir nie hätte erträumen lassen, ihn hier und jetzt kennenzulernen. 

Noch heute Morgen stand es buchstäblich in den Sternen, ob ich in diesem Bus hier sitzen werde. Meine Gesundheit hatte mir mal wieder, wie schon so oft in den letzten Wochen, einen fetten Strich durch die Rechnung machen wollen. Fieber, Schüttelfrost, Schwindel und Ohrenschmerzen, die mich beinahe in den Wahnsinn getrieben haben.
„Wie soll ich das nur schaffen?“, sprach ich hoffnungslos zu mir selbst und sackte voller Verzweiflung auf der Bettkante zusammen.
Schließlich soll es heute auf 4.000 Meter Höhe gehen. Nochmal mehrere hundert Meter höher als Cusco. Der Arzt gab Entwarnung. Seine Aussage stand für mich in Stein gemeißelt: Mir ging es gut! Das war das „Go“ für den Titicacasee. Komme was wolle.

Leben aus Schilf

Angekommen in Puno. Endlich Bewegung nach sieben Stunden zehrender Busfahrt. Sieben Stunden, von denen ich vielleicht drei Stunden wirklich geschlafen habe. Ich fühle mich erschlagen von der Nacht. Die Hektik und der Wirbel am Hafen überfordern mich. Doch meine Konzentration ist nochmal gefordert. Tom, Lauren, Henrik und ich – wir hatten uns vor ein paar Tagen kennengelernt und beschlossen zusammen zum Titicacasee zu reisen – müssen das richtige Boot in dem Meer voller Touristen und Einheimischen erwischen. 

„Oben an Deck ist es bestimmt am schönsten!“ Meiner bestimmten Aussage folgen Taten und wir vier steigen mitsamt unserer Backpacks die kleine Treppe des Schiffes hinauf. Erst mal Entspannen! Wir bewegen uns allmählich von der grauen Küste in Puno weg. Innerhalb weniger Sekunden spüre ich, wie sich meine Lungen mit frischer, klarer, reiner Luft füllen. Balsam für meine Seele. Am Heck weht die rot-weiß-gestreifte Flagge Perus, glitzert von der einfallenden Sonne. Von unten aus dem Innenraum tönt die Musik einer Panflöte. Ein einheimischer Künstler indigener Abstammung ist mit an Bord und sorgt für magische Klänge in meinen Ohren. Dann beginnt er zu Singen. Ich schließe meine Augen und tauche ab in eine Welt, die gerade Realität ist. Ich brauche mich nicht wegzuträumen, doch irgendwie fühlt es sich so an. Selten in meinem Leben war ich von einer derartigen Ruhe erfüllt. Ganz tief im Inneren. Langsam öffne ich meine müden Augen wieder und bemerke, wie weit die Küste bereits entfernt ist. Das Wasser ist seicht, ruhig. Das Motorengeräusch des Bootes fühlt sich fast störend an. Die Wellen, die das Boot auslöst, wirken auffällig. Keiner von uns spricht. Jeder von uns ist auf seine eigene Art und Weise in sich gekehrt – aus Müdigkeit und Faszination zugleich. Lediglich unterbrechen wir unser Schweigen für ein paar Fotos.

Ich frage mich, ob wir uns wirklich auf einem See befinden, so unendlich wirkt das Wasser in alle Richtungen und in diesem Moment. Doch dann wird die scheinbare Unendlichkeit unterbrochen. Aus dem Wasser ragt hohes Schilf und bewegt sich vom leicht wehenden Wind sacht hin und her. Unter uns scheint das Wasser nur wenige Meter tief zu sein. Das Schiff wird langsamer. Die Umgebung zunächst noch ruhiger. Bis zu dem Moment, in dem wir die Aufforderung zum Ausstieg bekommen. Der erste Stopp steht an…

 

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Über die Autorin: Hannah Hülsmann

Hannah Hülsmann studierte International Sports Management, ist aber mittlerweile auch als Reisebloggerin und (Buch-)Autorin tätig. Seit sie mit 19 Jahren alleine nach Peru reiste und sich als Volunteer in einem Projekt für die Förderung benachteiligter Kinder einsetzte, hat sie ihr Herz an das Land verloren und einige Jahre später darüber ein Buch geschrieben. Doch verliebt ist sie in die ganze Welt. In Flip-Flops an traumhaften Stränden, mit Wanderschuhen in den Anden, in der Savanne Afrikas oder am Fuße spektakulärer Wasserfälle. Sie liebt das Abenteuer und hält ihre Reiseerlebnisse sowie ihre persönlichen Erkenntnisse gemeinsam mit ihrem Freund auf ihrem Reiseblog Generation World fest. Im Web begegnen wir ihr auf www.generation-world.de und auf Instagram unter generation_world_.

Bildnachweise: shutterstock: Aleksandar Todorovic, Hannah Hülsmann

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