Goa - die berühmteste Strandregion Indiens

Von Volker Keller

Es soll Zeitgenossen geben, die wollen im Winter nicht im Meer baden. Weil der Winter Winter bleiben soll. Im Winter in den Sommer zu fliegen sei unnatürlich. Bis etwa Mitte Januar teile ich ihre Einstellung und lasse Kälte und Dunkelheit für mich gelten, ich mache sogar das Beste draus: Täglich raus in dicker Jacke und abhärten! Ich bin sogar einmal im Januar direkt aus einer Sauna in die Müritz gesprungen – mein Herz hörte vor Schreck kurz auf zu schlagen. Doch Mitte Januar befällt mich von einem Moment zum nächsten, Unwille über die natürliche Witterung, und in meinen Träumen bade ich im Meer. Ab nach Goa!

Als ich die Gangway vom Flugzeug hinuntergehe, umweht mich ein weicher, warmer Wind. Wie ein guter Freund scheint er mir zu sagen: „Hier bist du richtig! Ziehe deine dicke Jacke aus – du brauchst sie nicht mehr.“ Nur wenige Taxifahrer erwarten wenige Passagiere. Ihre Forderung für eine halbtägige Fahrt durch Goa ist für indische Verhältnisse maßlos. Ich verlasse das Flughafengelände und halte Ausschau nach Alternativen. Ein zerbeulter schwarzer Ambassador und sein Fahrer machen gerade Pause. Ein bisschen verschlafen nennt er mir einen annehmbaren Preis – und los geht’s. Mein Auftrag an ihn lautet: Fahre mich nach Panaji, Old Goa und an die Strände – beim schönsten bleibe ich. Mein Fahrer hat einen ziemlich runden Kopf und Grübchen vom Lächeln. Während der Fahrt guckt er kurz nach hinten, lächelt über meine Winterjacke und fragt, wie kalt es bei mir zu Hause ist. Um die null Grad. Wie das ist, will er wissen. So, wie wenn du deinen Kopf in einen Kühlschrank steckst. Das kann er sich vorstellen – und amüsiert sich darüber. Wie unnatürlich muss ihm unser Winter vorkommen.

Das letzte Mal besuchte ich Goa in den 1980er Jahren. Ich arbeitete dort in der deutschen Kirchengemeinde in Bombay und wurde durch eine Infektion krank. Hohes Fieber, Schüttelfrost, Brechen und Durchfall quälten mich (wie so viele Indienreisende). Als es mir besser ging, flog ich zur vollständigen Erholung nach Goa. Als ich jetzt den einstmals berühmten Hippiestrand von Calangute wiedersehe, bin ich enttäuscht. In den 1960er Jahren kamen Aussteiger aus Europa und den USA und mischten sich am Strand unter die Fischer. Die konnten sich nicht erklären, was vor ihren Augen am Ende der Welt auf einmal geschah. Die Einheimischen beobachteten die bärtigen Langhaarigen und Bikinifrauen, wie sie über Texte von Bob Dylan diskutierten, und ließen sie sich lieben und unter Sternen selig schlafen. Zur Zeit meines Aufenthaltes boten Hotels und Pensionen aller Preisklassen weiche Betten an. Hippies kamen noch und übernachteten für wenig Geld in den Häusern von indischen Familien. Sie machten noch ihre Yoga- und Meditationsübungen im Sand, saßen in kleinen Gruppen zusammen, ließen Joints kreisen und beteten die Sonne an. Das ist vorbei. Gutsituierte, gepflegte Europäer cremen sich nun ihre helle Haut ein und pflegen ihre Schönheit mit Sonnenbädern. Die Nachfahren der Fischer haben erkannt, dass man mit Touristen gutes Geld verdienen kann. Auf Jet Skis rasen ihre Gäste übers Wasser. Auf Bildschirmen in den Bars läuft die englische Fußballliga. Warum sind wir eigentlich so angepasst? Wo ist das Hippiegen geblieben? Wir glauben nicht mehr an unsere Träume, wir haben Angst vor ihnen.

Hier ist es zu voll, hier will ich nicht länger bleiben. Sudhir, mein Fahrer, meint, nördlicher am Arambol Beach findet man noch Hippies. Okay, wir fahren hin. Sudhir fährt, wie Inder eben Auto fahren – bei Gegenverkehr auf enger Straße möchte ich mir manchmal die Hände vor die Augen halten, um nicht mit anzusehen, wie es kracht. Wenn eine Fahrspur mit Fußgängern, heiligen Kühen, parkenden Autos und Fahrrädern belegt ist, und es rasen zwei sich entgegenkommende Autos aufeinander zu, weichen beide im letzten Moment zur Seite aus. Es kracht nicht. Sie können das. Einmal kommen uns sogar zwei Autos entgegen, eins überholt gerade das andere. Kurz bevor es zum Unfall kommt, öffnen sie eine Lücke zwischen sich, durch die wir hindurchfahren können. Maßarbeit. Hinten sitze ich jedenfalls besser als auf dem Beifahrersitz. Sudhir zeigt mir seine Heiligen. Sie verhindern Unfälle. Bildchen am Armaturenbrett zeigen den indischen Gott Krishna, Buddha, Jesus und Sai Baba. Der 2011 verstorbene Guru Sai Baba sei ein „human god“, ein menschgewordener Gott, er übertrage seine Energien auf ihn. Darauf kommt es an, weiß Sudhir: „Das Leben ist hart, die eigene Kraft reicht dafür nicht, aber die Götter geben sie dir.“ Einmal brauchte er dringend den Segen Sai Babas. Da hatte er nachts eine heilige Kuh angefahren. Das brachte ihm schlechtes Karma ein. Durch schlechte Karmaenergie wird ein Mensch nach seinem Tod in eine minderwertige neue Existenz hinein wiedergeboren, wenn er Pech hat als Insekt. Doch der Segen bewirkt gutes Karma für eine erfreuliche Wiedergeburt, vielleicht als Kind eines reichen Hotelbesitzers.

Es gibt sie tatsächlich noch – die Hippies. Am Strand in Arambol hauen gerade vier Männer in Wickelröcken auf ihre Trommeln, jeder in seinem Rhythmus, das passt schon, Männer und Frauen tanzen verzückt dazu. Einer meditiert im Lotussitz. Eine macht die Yogakobra im warmen, weißen Sand. Einer jongliert mit Bällen. Ein dürrer Alter, der wohl noch aus der Gründerzeit übrig geblieben ist, verkauft Krishnas und Steinchen, die er mit „Goa“ beschriftet hat. Dope hat er auch im Angebot. Eine bietet Massagen gegen Depressionen an. Über den ganzen Strand bläst wie ein leichter Wind meditative Musik. Dazwischen tummeln sich die Normalos und bestaunen die Träumer. Eine Strahlende wünscht mir: „Have a good day. Be happy!“ – und lässt keinen Zweifel daran, dass sie glücklich ist.

 

Na, Interesse geweckt? Jetzt den ganzen Reisebericht lesen in der Ausgabe Frühjahr 2022 – in print und digital.

Über den Autor: Volker Keller

Ein Bremer durch und durch und seit Jahrzehnten reiseverrückt. Seine Motivation? Bestaunt er ein Stück fremde Welt, kann er nicht anders, als ausgiebig Notizen, und noch mehr Fotos davon zu machen. Zu Hause wird daraus dann eine Reisereportage. Sein Therapeut erklärt ihm das so: Er will für sich selbst die besonderen Momente vor dem Vergessen retten. Und weil er dazu ein ausgesprochen sozialer Mensch ist, lässt er uns an seinen Erlebnissen und Erfahrungen großzügig teilhaben: Rosenmontag auf La Palma? Die Weite des Meeres vom Balkon eines Kreuzfahrtschiffes aus bestaunen? Mit Ureinwohnern in der Südsee kochen? Manchen Spleen kann man eben nicht therapieren – nur liebevoll annehmen. Seine Bücher sind u.a. bei Amazon erhältlich. Wer einen erweiterten Blick auf sein Schaffen und seine Umtriebigkeit erhaschen möchte, besucht ihn hier: volker-keller.vegesack.de

Seine weiteren Beiträge auf unserem Reiseblog: 

Israel – Land zwischen den Welten

Neapel – Seine berühmte Krippenstraße, Capri & die Amalfiküste

Bildnachweise: Volker Keller, shutterstock: Rossana Gatti, shutterstock: Lena Serditova

Schreibe einen Kommentar

Angemeldet als unterwegs. Abmelden?

What are you looking for?